"Einen sinnlich wahrnehmbaren Denkgegenstand erzeugen"

Friedrich Eigner

Goldgekämmte Spuren in schwarzer Nacht. Parallele Schraffuren in halsbrecherischen Kurven. Aufblitzende Linienbündel, die sich im Raum verlieren. Faszination, Staunen, Überwältigung, je mehr man sich den Bildern aussetzt. Dann meldet sich der Verstand zurück: Wie kann man das erklären? Wo gehört solche Kunst hin?


Die klassische Kunstgeschichte hat für ein Interesse, das über die persönliche Geschmacksbekundung - gefällt mir/ gefällt mir nicht - hinausgeht, ein Modell entwickelt: ein systematisches Verfahren, das in drei Schritten funktioniert. Erstens: beschreiben, zweitens: Thema bestimmen (Ikonographie), drittens: Bedeutung bestimmen (Ikonologie). Kommt man so auch den Arbeiten von Fritz Eigner näher?



Ein Versuch:



Erstens. Es geht um Tafelbilder, Polymer/ Öl auf Glas. Vor einem monochromen schwarzen Hintergrund zeichnen sich ringförmige oder bandartige Strukturen ab. Sie bestehen aus parallel geführten, hellen Linien. Hier wird es spannend: Die Linien variieren in Stärke und Farbton, sie überlagern sich, ändern ihre Richtung, sie werden unterbrochen - und sie verführen unser Auge zum genauen Hinsehen.



Zweitens. Nur schwarz, keine Begrenzungen, kein Raum. Die Nichtfarbe ist als feststehende Vokabel in unserem Bildgedächtnis verankert. Schwarz heißt Dunkelheit, die Abwesenheit von Licht. Schwarz ist der Hades, die Unterwelt. In dieser Dunkelheit, aus der Tiefe des schwarzen Raumes, ein aufscheinendes Licht. Goldenes Leuchten ist in unserer christlich geprägten Kultur das Zeichen für das Heilige, für eine metaphysische Wirklichkeit, eine Metapher der Verheißung. Die Moderne dagegen hat die Welt entzaubert: Astronomisch gesehen bezeichnet Schwarz den unbegrenzten Raum, die Weite des Universums mit seinen unzähligen Leuchtkörpern. Sind hier also gegenständliche Beschreibungen ringförmiger Gasnebel oder Leuchtbahnen von Kometen gemeint? Beides ist möglich. Fazit: Das Thema ist nicht eindeutig bestimmbar.



Drittens. Richtig oder falsch, gut oder böse, der heilige oder der unendlich leere Raum - ist das nicht auch typisch für unsere Zeit? Historische Kunstwerke sind im festen Bezugsrahmen entweder der Bibel oder der Mythologie entstanden. Die zeitgenössische Kunst hat sich davon gelöst. Wir können heute auf keine verbindlichen Erklärungsmodelle mehr bauen. Der Raum ist grenzenlos, wir sind in ihm verloren.



Vielleicht ist es nur das Tun, die individuelle Wahl aus der Unzahl der Möglichkeiten, das noch Sicherheit gibt: Eigners Bilder bewahren die Spuren des kreativen Handelns. Sie dokumentieren das faszinierende und doch vergängliche Aufblitzen eines Individuums in Raum und Zeit.



Post Scriptum: Zum Verständnis zeitgenössischer Kunst ist es unbedingt notwendig, sich mit der Biographie der Künstler selbst zu beschäftigen. Für Fritz Eigner funktioniert die Kunst nur als intensive Auseinandersetzung, als Ringen mit einem Widerstand. Das erklärt die Unterschiedlichkeit seiner einzelnen Werkgruppen, die sich immer dann ändern, wenn ein Problem "erledigt", eine Frage gestalterisch gelöst ist. Das erklärt aber auch die Wahl des schwierigen Bildträgers Glas, auf dem eigentlich keine Farbe hält. Wie er das macht, ist sein Geheimnis! Wenn der technisch hochkomplexe Malvorgang (ohne Korrekturmöglichkeit) gelingt, entfalten die Arbeiten eine unwiderstehliche haptische Qualität, die zum Anfassen reizt. Das kostbare Pigment selbst hier wird zum Ausdrucksträger. Es erzeugt die Suggestion einer samtigen Tiefe. Der größte Gegensatz dazu: das Licht. Hell und Dunkel, Schwärze und Licht - das erinnert an Alte Meister, an die staunenerregende Kunst von Rembrandt, von Frans Hals, von Tintoretto. Tintoretto war der erste Maler, der schwarz grundierte Leinwände verwendet, der aus dem Schwarz heraus das Licht gemalt hat. Vielleicht kein Zufall, dass Fritz Eigner ein Atelier unterhält in der Stadt, in der Tintoretto sein gesamtes Leben verbracht hat, in Venedig.



Dr. Karen Michels, Agentur für Kunstverstand, Hamburg